Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #12

Kritik? Kein Problem. Kritik zu ueben und sich kritisieren zu lassen gehoert zum Selbstverstaendlichsten der Welt. Total normal. Gilt jemand als >kritikresistent<, so ist das keine Auszeichnung. >Wir freuen uns ueber Ihre Kritik< ist die unschuldige Formel, mit der Fluggesellschaften oder Hotelketten versuchen, ihre zahlenden Kunden zur unentgeltlichen Mitarbeit anzuregen. Natuerlich geht es nicht um irgendeine Kritik: Es muss konstruktive Kritik sein.

Die Fluggesellschaft interessiert sich nicht fuer eine Kritik, die die Sinnhaftigkeit des Flugverkehrs in Frage stellt; die Hotelkette will nicht wissen, ob sie an der Zerstoerung der Diversitaet von Gastkulturen teilhat.

Wer Kritik uebt, dem steht gut an, damit >der Sache< zu dienen und nicht >die Sache< in Frage zu stellen. Denn Kritik, die nicht konstruktiv ist, so sagt es der geltende Imperativ unserer produktivistischen Normalitaet, bringt ja nicht weiter. Und was nicht weiter bringt, was keinen Fortschritt realisiert, ist schlicht aus der Mode. Endlich sollte ueberwunden werden, Kritik im Modus der potentiellen Exit-Option zu stellen, also das zu tun, was frueher mal als >externe Kritik< bezeichnet wurde. Die Fiktion der externen Perspektive nascht ja nur von jenem latent laecherlichen Modus des Utopischen, den eine ihrer Sachzwaenglichkeit bewusste Welt doch nur noch zur Feierabend-Erbauung braucht. Denn tatsaechtlich herrscht der Sachzwang. In voller Wirklichkeit. Alles Scheisse. Es fehlt eine Lust an der oeffentlichen Destruktion, die in Folge in private Destruktionen fluechtet, anstatt in einer endlosen Folge eruptiver Rueckabwicklungen >kultureller Errungenschaften< immer neu spuerbar werden zu lassen, dass Wege nur beim gehen, beim MACHEN der Spur entstehen. Das Motiv : die Moeglichkeit ist schlecht verwirklicht. Das geht anders. >Macht kaputt, was Euch kaputt macht<. Kritik wirkt erst dann, wenn sie sich in der ontischen Nichtung des Kritisierten finalisiert und so seine im Ausgang von jenem gegruendete Zurueck-Verwiesenheit auf es nachhaltig verunmoeglicht. Sonst bleibt die Kritik vom Kritisierten bestimmt wie der Punk, der sich im Negativ des Buergerlichen einrichtet und damit durch es definiert bleibt. Der Ball rollt ins hintere Eck des Sportkellers, um dort unter einem staubigen Buecherschrank zu verschwinden. Kritik ist heute in zwei dialektischen Formen verfangen : Sie ist entweder eine Dialektik konstruktiver UEberbietung oder aber eine Dialektik von Konstruktivitaet und Destruktivitaet. Entsprechend schwer ist es, sich weder in konstruktiver noch in destruktiver Geste zu aeussern – und dennoch einen kritischen Anspruch zu verfolgen. Ein Paradebeispiel dafuer ist die so genannte >Globalisierungskritik<. Schon deren Losung wirft grundlegende Fragen auf: >Eine andere Welt ist moeglich<. Was ist gemeint ? EINE andere Welt ist moeglich – oder : eine ANDERE Welt ist moeglich ? Wenn EINE andere Welt moeglich ist, will man nicht diese eine bestimmte, sondern jene andere bestimmte Welt. Wenn eine ANDERE Welt moeglich ist, will man es Anders als gerade verwirklicht – es geht also um die Erhaltung von alternativen Optionen, um ein Nein zu TINA als Modus des [politischen] Denkens – nicht aber eben jene bestimmte Welt, zu der man ja oder nein sagen kann. Es geht nicht um konkrete Alternativen, sondern um DAS ALTERNATIVE selbst. Was will sie nun, die >globalisierungskritische< Bewegung? Will sie EINE andere Welt moeglich machen, kann sie konstruktiv oder destruktiv kritisieren – oder eine dialektische Folge beider Versionen waehlen. Das und das soll so und so, besser gemacht werden – oder aber : Haut ab, Ihr Arschloecher – ihr habt es versaut, die eine Moeglichkeit ist falsch verwirklicht, also weg mit der Verwirklichung, wir machen die Moeglichkeit anders wirklich. Oder: Wir wollen das Gegenteil des Moeglichen, wir nennen uns Realisten und wollen das Unmoegliche. Das Negativ zum Positiv. Wer es konsequent konstruktiv will, zieht nach Freiburg, um in gruenem Pragmatismus an der Selbstoptimierung des besser Gewussten zu arbeiten, wer es konsequent destruktiv will…nun ja, auch da gibt es Modelle. Wenn die Bewegung aber eine ANDERE Welt wollen wuerde, eine im Modus der vorgaengigen Alternativen im steten Plural, was dann ? Weder waere das konstruktiv, weil es nicht ein >an der Sache< orientiertes Optimierungskalkuel ist, sondern ein Alternativen-Plural, der aufgrund der immer neuen Moeglichkeiten, auf Begriffe zu gelangen, ueber besser oder schlechter wenig grundlegendes zu sagen geneigt ist. Noch waere es destruktiv, weil es – und zwar nicht in produktivistischer Absicht, sondern aus einer spezifischen Gelassenheit heraus – permanent Neues, Anderes produziert und in den phantasmatischen Ring konkreter Bewaehrungs- spiele wirft. Denn jedes neue EINE wird als Moeglichkeit qualifiziert und auf diese Weise hinsichtlich der Ausbringung von festen Geltungswurzeln unterlaufen. Wenn das je Gegebene fortlaufend als eine Moeglichkeit neben anderen Moeglichkeiten in seinem Geltungsanspruch veruneindeutigt wird, braucht es kein starkes Ja oder Nein zum EINEN [wie in konstruktiver oder destruktiver Kritik]. Im Zuge der OEffnung fuer das anders Moegliche hin erwirbt das Denken seine Inetgritaet zurueck, die darin besteht, die Welt als konzeptuell ungesicherten Suchraum anzunehmen. Eine Kritik, die in diesem Horizont operiert, koennte man daher in Anlehnung an Derridas bekannte Figur dekonstruktive Kritik nennen. Weder macht sie mit dem Kritisierten im Namen einer dialektischen Optimierungslogik gemeinsame Sache, noch lehnt sie es affirmativ ab und bliebe ihm so verschrieben. Dekonstruktive Kritik ist kein >besser-WISSEN ob JA oder NEIN<, kein Beurteilen unter Inanspruchnahme der Kritik entzogener, der Kritik gegebener Massstaebe, sondern Ausdruck einer bewussten >Kontingenzkultur des Denkens<. Kontingenzkultur als Modus, etablierte Wirklichkeiten als verwirklichte Moeglichkeiten [und eben nicht Notwendigkeiten] zu deuten und somit den Raum des ANDERS MOEGLICHEN als Welt zu spueren, zu denken, zu deuten und mit Worten und Taten zu reklamieren, ihm ge-recht zu werden. Die gaengige Globalisierungskritik ist entweder >konstruktiv-konstruktiv< oder konstruktiv-destruktiv- konstruktiv – nicht aber dekonstruktiv. Sie will EINE andere, eine nach den kontingenten Vorstellungen der Akteure definitv bessere Welt, sie will aber nicht WELTEN als Suchraum fuer die immer andere Moeglichkeit des Menschseins. Zugegegben : Es war diese Bewegung, die oeffentlichkeitswirksam Bewegung ins Denken genracht hat – mit bunten Ideen, Formen und Farben. Sie repraesentiert eine neue Kultur interkonnexiver Mondialitaet mit gegenhegemonialen Ambitionen und zuweilen Erfolgen. Aber sie verbleibt zu oft – zumal dann, wenn sie sich mit konservativen Akteuren und Institutionen wie Gewerkschaften verheiratet - im konstruktiven, zuweilen auch destruktiven Ladezustand – sie zielt zu selten darauf, das Denken des Anders-Moeglichen moeglich zu halten, indem Definitivitaetsansprueche als solche mit einem laechelnden und souveraenen Nihilismus ad absurdum gefuehrt und in kontingenter Selbstbestimmung alternative Praxen als engagierte Provisorien ins Werk gesetzt werden. Im Ausloten, immer neuen Ausschreiten der Moeglichkeiten, Menschen zu sein, liegt die kritische Energie einer solchen Globalisierungskritik, deren Vektor doch weniger in Richtung fatalisierter Gegenmacht als in Form einer rudelbildenden Passage zum Kopfschuetteln darueber liegen koennte, wie phantasielos diejenigen denken und handeln, die meinen, im neoliberalen Kapitalismus die Grammatik der Welt dechiffriert zu haben. Es gibt n + 1 Wege genau jene laecherlich zu machen, die meinen, dass es nichts mehr zu lachen gaebe. Und dann endlich auch mit denjenigen zu lachen, die heute nichts zu lachen haben. Die globalisierungskritische Bewegung unterschreitet bislang ihr dekonstruktives Potential. Sie steuert konstruktive [z.B. der Forderung nach der Tobin-Steuer] oder destruktive Kritik [wie Gewaltausbrueche gegenueber selbstaendigen Einzelhaendlern in den Veranstaltungsorten von Sozialforen] bei – ist aber nicht die Schubkraft, um eine ANDERE Welt, die Welt als immer anders Moegliches [und eben nicht die zum Globus objektivierte, zum Objekt degradierte Welt], in den eigenen Sucher oder den einer politischen Oeffentlichkeit zu bringen. Und so werden selbst die spannenden Anfragen an jene diversen Mondialisierungen, die heute Menschen und Praxen in globusumspannende Wechselwirkungen bringen, unter dem allgegenwaertig affirmierten Popanz >der Globalisierung< verdeckt, und die >Kritik< raesoniert mehr ueber den zur Allmaechtigkeit hochstilisierten neoliberalen Feind, als sie Altermondialitaet zu einem zeitgemaessen Weltverhaeltnis zu machen mitwirkt – und das hiesse vor allem, an sich selbst die Frage zu stellen, wie man es mit der Kontingenzkultur haelt, die eine ernstgemeinte Altermondialitaet als Modus des Lebens in Moeglichkeiten tragen muss. Und das stellt die Selbstorientierung vor manifeste Herausforderungen des Selbstverstaendnis des Kritikers, die bislang erst im Keim ersonnen sind. In ihrem verbreitet konstruktiv-destruktiven Kritikmodus jedenfalls bleibt die Globalisierungskritik strukturell reaktiv und reaktionaer anstatt lustvoll verstoerend zu agieren. Eine dekonstruktive Globalisierungskritik waere hingegen zunaechst eine Kritik am Anspruch, DIE WELT im Rahmen einer >grossen Erzaehlung< oder >grossen Gegenerzaehlung< ausdeuten und sie verbissen auf diese oder jene definitive Weise gestalten zu wollen. Es waere immer auch eine Kritik am Strategem der Vereindeutigung des vielfaeltig Moeglichen – im Namen des guten Lebens in einer altermondialen Lebenswelt. Dass dabei die lustvolle Verstoerung auch der Anderen nicht zu kurz kommen sollte – das versteht sich fast von selbst. [Anm. d. Red.: Der Autor ist Geschaeftsfuehrer von durchdenker.de]

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