Plädoyer für scharfe Begriffe: Zur sprachpolitischen Entwicklung von “Kollaboration”

Eine Bedeutung von Kollaboration ist “landesverräterische Zusammenarbeit”. Damit ist es ein hoch politisches Wort und negativ konnotiert. Doch offenbar verschiebt sich das Verständnis des Begriffs. Medienwissenschaftler und Berliner Gazette-Autor Volker Grassmuck zeichnet die sprachpolitische Entwicklung von “Kollaboration” nach. Ein Plädoyer für scharfe Begriffe.

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Laut Duden ist „Kollaboration“ die „gegen die Interessen des eigenen Landes gerichtete Zusammenarbeit mit dem Kriegsgegner, mit der Besatzungsmacht.“ Dabei könnte man es belassen, doch Sprache ist dynamisch. Wortbedeutungen aus verschiedenen Sprachen überlagern sich. Neue Phänomene treten hervor, für die Wörter gesucht werden. Als kollektives Gut wandelt sich Sprache naturwüchsig mit jedem Sprechakt, aber auch durch sprachpolitische Interventionen, z.B. die Umbenennung von „Free Software“ in „Open Source“ im Jahr 1998. Daher lohnt es sich, die aktuelle Verschiebung von einer bösen zu einer guten Form der Zusammenarbeit näher zu betrachten. Die Etymologie verrät uns, dass „Kollaboration“ aus dem Französischen entlehnt ist und anfangs „Zusammenarbeit“ meinte. In der Bedeutung wird das Wort auch in den heutigen romanischen Sprachen verwendet.

Die Bedeutung „Zusammenarbeit mit dem Feind“ sei im deutschen Sprachgebrauch seit dem 19. Jahrhundert im Zusammenhang mit den napoleonischen Kriegen belegt, sagt die Wikipedia ohne Beleg. Unstrittig ist, dass sich im zweiten Weltkrieg für das frz. collaboration die Bedeutung „landesverräterische Zusammenarbeit mit der Besatzung durch das faschistische Deutschland“ durchsetzt, mit der das Wort nach dem Krieg auch im Deutschen üblich wird. In diesem Sinne wird es aktuell für Kolonial- oder Besatzungskonflikte etwa im Maghreb, in Afghanistan, auf dem Balkan und im Irak verwendet.

Die Wikipedia, vermeldet zwei weitere jüngere Bedeutungsvarianten: In der Zeit des Kalten Krieges wurde „Kollaborateur“ als Schimpfwort benutzt, um den Gegner der Zusammenarbeit mit der jeweils anderen Seite des Eisernen Vorhangs zu bezichtigen sowie aus feministischer Sicht für die Zusammenarbeit mit patriarchalen Strukturen und Denkweisen. Das Antonym von Kollaboration ist Widerstand, das von Kooperation ist Konkurrenz.

Übersetzungsfehler

In der Wikipedia findet sich zunächst eine Begriffsklärung. Darin wird behauptet, dass Kollaboration „in der Geschichte“ eine Zusammenarbeit mit dem Feind meine. Die zweite Bedeutung, noch ein Rotlink, sei „Zusammenarbeit an einem gemeinsamen Projekt. Der Begriff wird zunehmend angelehnt an das englische collaboration für kollaborative Ansätze im Internet wie kollaboratives Schreiben oder kollaboratives Wissensmanagement verwendet.“

Im Wikipedia-Artikel über die vermeintlich geschichtliche Bedeutung findet sich der – wieder belegfreie – Hinweis:
„In einem wertfreien Sinn wird Kollaboration heute unter anderem in den Wirtschaftswissenschaften als Synonym für Zusammenarbeit verwendet, wohl auch, weil dieser Begriff in englischen … Texten im Begriff collaboration seine Entsprechung hat. In diesem Sinne stellt eine Kollaboration … eine starke Form einer Kooperation dar.“
Im Englischen ist, wie im Französischen, „collaboration“ mit beiden Bedeutungen belegt, wobei die positive Zusammenarbeit und ihr Produkt sich ausdifferenziert haben und weitgehend deckungsgleich ist mit der von „cooperation“: 1. The act of collaborating, i.e. working together with others to achieve a common goal.
 2. A production or creation made by collaborating.
 3. Treasonous cooperation. (Wiktionary)

Offenbar verschiebt sich gerade das deutsche „Kollaboration“ durch eine selektive Wahrnehmung des englischen „collaboration“. Für die Konjunktur von Wörtern und ihren Wandel gibt es ein nützliches Instrument: Google Ngrams. Damit lässt sich der gesamte Korpus von Google Books in englischer, deutscher usw. Sprache (bis 2008) nach dem Auftreten von Wörtern durchsuchen. Die Verwendung von Kollaboration im Vergleich zu Zusammenarbeit, Kooperation usw. ist gering. Geht man in die Titel, findet man, dass sich der überwiegende Teil auf die Zusammenarbeit mit einer Besatzungsmacht bezieht. Suchen wir jedoch nach „kollaborativ“, zeigt sich ein anderes Bild.

Es wird “kollaborativ”

Schon ab den 1960ern wird es verwendet, mit einem steilen Anstieg seit Ende der 1990er, und zwar im positiven Sinne von „Zusammenarbeit“. Die Literatur stammt vor allem aus den Wirtschafts- und Managementwissenschaften, dem Marketing und verschiedenen Informatik- und Medienbereichen, aber auch aus der Linguistik und Pädagogik. Und verwendet immer auch weiter die pejorative Bedeutung. So schrieb Gerhard Zwerenz 1975: „Vielleicht wirkt heute, vor dem Hintergrund einer absolut käuflichen Welt, jeder Dichter kollaborativ.“

Wie es scheint, ist das neue „kollaborativ“ in zwei Wellen aus dem Englischen eingewandert: seit den 1980ern in die Sprache von Management und Marketing, ein Feld, in dem ohnehin sämtliche bedeutungstragenden Wörter englisch sind und man nur noch an den Funktionswörtern erkennen kann, dass seine Vertreter deutsch reden. In dem Sinne vermeldet der Duden unter „kollaborativ“: „gemeinsam; zusammen arbeitend, entwickelnd. Beispiel: Vertrieb ist grundsätzlich kollaborativ und zumeist nur erfolgreich in Zusammenarbeit mit Partnern.“ Angaben zur Herkunft fehlen. Das etymologische Korpus von DWDS kennt „kollaborativ“ nicht.

Die zweite Welle beginnt im Jahr 2000 und bezieht sich auf das Internet. In der Zeit hat die Freie Software eine breite Öffentlichkeit erreicht. Hier ist die Umgangssprache Englisch. Deutsche lasen „collaborative“ und übersetzten „kollaborativ“. Da „Kollaboration“ vor 15 Jahren im Deutschen ohne jegliche Ambivalenz besetzt war, handelt es sich um einen schlichten Übersetzungsfehler, genauer einen „falschen Freund“. Ein „physician“ ist kein Physiker, sondern ein Arzt, und „aktuelle Nachrichten“ sind nicht „actual news“.

Kollaboration als „ethisches Leitprinzip“

In dieser Situation einer marginalen Ambivalenz des Begriffs lanciert Mark Terkessidis sein Buch “Kollaboration” mit dem Ziel, die positive Bedeutung im Deutschen „anzuschieben“, wie er auf dem Wikimedia-Salon sagte (hier auch ein Interview). Zur Begründung liefert er einen schlichten Dreischritt:
1. „Kollaboration hat in Kontinentaleuropa keinen guten Ruf. Die meisten Menschen denken an die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg.“
2. „Im Englischen ist der Begriff collaboration hingegen neutral, wenn nicht gar positiv gemeint: Es geht um Zusammenarbeit.“
(3.) Ergo: verwende ich den Begriff im Deutschen nicht in der unguten deutschen Bedeutung, sondern in der guten englischen.

Den dritten Schritt spricht er nicht mehr aus, sondern vollzieht ihn im Rest des Buches. Unklar bleibt, warum, – wenn es denn um Zusammenarbeit geht –, er sie nicht auch so nennt. Bei anderen Alternativen wird er deutlicher. Die Wörter „Basisdemokratie“, „Partizipation“ und „Teilhabe“ lehnt er ab, weil er schlechte Erfahrung damit gemacht hat und weil sie ein negatives Image hätten, da Bürokratie Partizipation benutze, um absegnen zu lassen, was schon beschlossen ist. Mit derselben Logik könnte man auch das Wort „Demokratie“ ablehnen, da sie durch Korruption, Lobbyismus usw. nicht ihrem Ideal genügt.

Zu „Kooperation“ versucht er folgende Abgrenzung: „Kollaboration ist etwas ungleich Schwierigeres als Kooperation. Bei Kooperation treffen verschiedene Akteure aufeinander, die zusammenarbeiten und die sich nach der gemeinsamen Tätigkeit wieder in intakte Einheiten auflösen. Kollaboration meint dagegen eine Zusammenarbeit, bei der die Akteure einsehen, dass sie selbst im Prozess verändert werden, und diesen Wandel sogar begrüßen.“

Landesverräterische Zusammenarbeit

Machen wir den Umkehrtest: Kollaborateure können sich nach der Zusammenarbeit nicht wieder in intakte Einheiten auflösen? In Kooperationen verändern sich Menschen nicht? Keine besonders trennscharfen Kriterien. Schließlich betont Terkessidis, dass er „Kollaboration“ gerade wegen ihrer negativen Mitbedeutung verwende. Es sei ihm wichtig, sie zu erhalten: Er sei mit vielen Dingen im Kapitalismus, in der Demokratie unzufrieden, aber müsse sich arrangieren. Das, so suggeriert er, sei eine „landesverräterische Zusammenarbeit“. Nachdem er die negative Bedeutung ins Beliebige – zu einer anthropologischen Konstante, einem Adornoschen ‘Es gibt kein richtiges Leben im falschen’ – ausgedehnt hat, steht auch auf der positiven nichts Gutes zu erwarten.

Tatsächlich gelingt ihm das Kunststück, 330 Seiten über ein Wort zu schreiben, ohne es zu definieren. Macht man sich die Mühe, zwischen den vielen lesenswerten Geschichten mögliche Merkmale der Terkessidischen „Kollaboration“ herauszuklauben, steht man vor einer Hand voll Banalitäten: keine Hierarchien, wohl Autoritäten und Regeln, Vielheit, Eigenverantwortlichtlichkeit, Selbstorganisation und am Schluss eine Entscheidung, die nicht nur auf Konsens beruhe.

Neben dem Projekt, uns eine neue Sprache beibringen zu wollen, – indem er überall, wo bislang „Zusammenarbeit“ stand, „Kollaboration“ einsetzt –, will er mit seinem Buch nichts weniger als eine neues „ethisches Leitprinzip“ etablieren. Für einen bekennenden Linken ist die Begründung verblüffend:
„Wenn ich sie [Kollaboration] hier als Leitprinzip formuliere, dann plädiere ich für ebenjene Eigenverantwortung, die eine neoliberale Regierungsführung und eine konkurrenzorientierte Wirtschaft gebetsmühlenartig eingefordert haben.“

Noch deutlicher im taz-Interview: „Das Problem mit dem Neoliberalismus ist, dass er seine Versprechen nicht einlöst.“ Ich kann mich nicht erinnern, dass der Neoliberalismus unsereins irgendwelche Versprechen gemacht hätte. Laut Terkessidis geht es um besagte Eigenverantwortung, die die Bürger gelernt hätten, – paradigmatisches Beispiel ist das Klassenzimmer seines Kindes, das er mit anderen Eltern zusammen renoviert hat –, doch stünde der Teilnahme keine Teilgabe durch den weiterhin „autoritären“ Staat gegenüber.

Es wäre sicher übertrieben, Terkessidis vorzuwerfen, er wolle sich zum Erfüllungsgehilfen dieses neoliberalen Kapitalismus und uns zu dessen Kollaborateuren machen, auch wenn seine Formulierungen den Verdacht immer wieder wecken. Auch den Bedeutungswandel von „Kollaboration“ hat er nicht ausgelöst, aber er möchte ihn verstärken, um die Idee einer neuen Zusammenarbeit zu verbreiten.

Alternativen zu Kollaboration

Ohne Frage hat sich in den späten 1990ern in der Form der Zusammenarbeit etwas verändert, das sich in einer neuen Verwendung von „kollaborativ“ niederschlug. Ohne Frage war die treibende Kraft das Internet, dessen neue Potentiale für Zusammenarbeit zuerst – und bis heute paradigmatisch – an Freier Software und Wikipedia sichtbar geworden sind.
Dafür hat Yochai Benkler einen präzisen Begriff geprägt: „Allmende-basierte Peer-Produktion“. Der besagt: 1. Es geht um Produktion; 2. die Beteiligten sind Peers, formal Gleiche; 3. das gemeinsame Wissen und die Zusammenarbeit wird durch Freilizenzen nachhaltig gesichert.

Das ist auch der Begriff, den Friederike Habermann verwendet, da sich darauf ein ganzes System nicht-kapitalistischen Wirtschaftens aufbauen lasse, das sie „Ecommony“ nennt. Auf dem Wikimedia-Salon lehnte sie den Begriff “Kollaboration” ab. Für das K im ABC des Freien Wissens hätte sie „Kommunismus“ besser gefunden oder lieber “Commonism”. Bis zum Ende des Abends hatte sie sich mit sich selbst auf „Commoning“ geeinigt.

Neue Phänomene mit neuen, möglichst präzise abgrenzenden Wörtern zu benennen, ist eine gute Strategie, um unschöne Interferenzen zu vermeiden. Bis zu einem überzeugenden Nachweis des Gegenteils ist auch „Kooperation“ weiterhin nützlich, um die reiche darin geronnene Erfahrung zu beerben und z.B. über einen „Plattform-Kooperativismus“ nachzudenken, den Trebor Scholz als Alternative zum Plattform-Kapitalismus (Sascha Lobo) vorschlägt. Dass man es – sogar im Englischen – verwenden kann, um das Neue zu gestalten, zeigt der Cooperation 2015 Workshop in Chicago Ende Februar 2015, auf dem Michel Bauwens mit dem Chicago Community Trust – ausgerechnet in der Brutstätte der neoliberalen Wirtschaftstheorie – die welterste Chamber of Commons aus der Taufe hob.

Es ist nicht zu erkennen, dass wir etwas gewinnen, wenn wir die neue Form der Zusammenarbeit mit dem alten, vermeintlich bedeutungsfrei gewordenen „Kollaboration“ benennen. Die immer noch primär als landesverräterisch verstandene Zusammenarbeit gar zum „ethischen Leitprinzip“ erheben zu wollen, ist im wahrsten Sinne jenseits von gut und böse.

Verlieren wir etwas? Ja.
1. Wir würden – völlig ohne Not – die Bezeichnung für die im Begriff „Kollaboration“ geronnene schmerzhafte historische Erfahrung in den Mülleimer der Geschichte werfen. Kollaborateure waren mit Schuld am Holocaust. In Zeiten des wieder erstarkenden Faschismus ist ein solcher Vorschlag besonders verantwortungslos.

2. Wenn Besatzung und Kollaboration tatsächlich der Geschichte angehören würden, wie die Begriffsklärung in der Wikipedia behauptet, dürfte man den Faschismus natürlich immer noch nicht den Historikern überlassen, aber man könnte eher das Argument verstehen: ‘Genauso historisch kontingent, wie „Kollaboration“ die Bedeutung „Landesverrat“ angenommen hat, kann es sie auch wieder verlieren.’ Ist aber nicht so: Das Patriarchat besteht weiter. Tibet ist weiter von China besetzt, Westsahara von Marokko, Nordzypern von der Türkei und Palästina von Israel.

Wie sollen wir die Kollaboration dort nennen, wenn wir den Begriff für die Zusammenarbeit in der Wikipedia verwenden? Was werden junge Menschen denken, wenn sie hören, dass es Palästinenser im Westjordanland gibt, die mit den Israelis kollaborieren? ‘Ist doch toll, dass die zusammen freie Wissensressourcen erarbeiten! Aber warum werden die dann hingerichtet?’.

Kritische Theorie braucht scharfe Begriffe

Eine kritische Theorie muss scharfe Begriffe schmieden. Sie sind die Instrumente, mit denen wir die Welt erkennen und analysieren, die öffentliche Debatte und unser Handeln informieren. Begriffe, die erlauben, Unterscheidungen und Entscheidungen vorzunehmen. Wie die zwischen Kollaboration und Widerstand. Statt sie geschichtsvergessen über Bord zu werfen, gilt es, ihren kritischen Gehalt in die digitale Gesellschaft zu transponieren. Als Spracharbeiter tragen wir Verantwortung für die Wörter, die wir verwenden. Umso mehr, wenn es um Wörter geht, die das Denken einer Ethik erlauben sollen.

Die geschichtsvergessene, am sprachbildnerischen Rockzipfel der USA hängende Entscheidung für „K=Kollaboration“ im Vokabular des Freien Wissens hat der Diskussion über Merkmale und Potentiale netzgestützter Zusammenarbeit einen Bärendienst erwiesen.

Anm.d.Red.: Der Beitrag entstand im Kontext des Wikimedia-Salons, der in Kooperation mit der BG-Jahreskonferenz UN|COMMONS stattfand. Mehr Info zum Wikimedia-Salon hier und zur Doku der Veranstaltung hier. Das Bild oben zeigt den Künstler und Koch Pepe Dayaw bei der Zusammenarbeit mit Musikern auf der Bühne: Kochen und Musikmachen zugleich. Es entstand im Rahmen von UN|COMMONS und wurde von Andi Weiland aufgenommen (cc by sa). Mehr Fotos von der kollaborativen Performance in diesem flickr-Album.

10 Kommentare zu “Plädoyer für scharfe Begriffe: Zur sprachpolitischen Entwicklung von “Kollaboration”

  1. danke für die sprachgeschichtliche betrachtung, ich weiß es zu schätzen, allerdings befremdet mich ein wenig ihr verständnis von sprachgeschichte; müsste man das ohnehin nicht im plural schreiben? wessen geschichten sind das überhaupt und von wem werden sie geschrieben? wer kann diese geschichten artikulieren? auch jene, die diese geschichten maßgeblich prägen? die massen, das volk, die vielheiten? die den begriffen ein neues leben, einen neuen sinn einhauchen, wenn die zeit gekommen ist? und eben auch einem begriff wie kollaboration aus der umklammerung des faschismus befreien, eine umklammerung, die niemals mit einer erfindung zu verwechslen wäre und ohnehin nur von temporärer dauer sein kann.

  2. Danke für das Erinnerungsvermögen, es ist in dieser vergesslichen Zeit nicht selbstverständlich!

  3. scharfe Begriffe? wer will das nicht? das ist wie “das bessere Leben”, mehr Qualität und das Versprechen, dass es ein Ende hat mit den Mißverständnissen.

    Doch wo kann es scharfe Begriffe geben? Eigentlich doch nur in geschlossenen, one way Kommunikationssituationen. In einem Buch zum Beispiel. In einer Kampagne der Bundesregierung vielleicht auch.

    Doch wo two way beginnt, wo es offen wird, wo wir von einer gesellschaftlichen Kommunikation ausgehen, dort kann die Forderung nach Begriffsschärfe eigentlich nur eine totalitäre oder eine hoffnungslos romantische Forderung sein.

    Was kann man also sinnvollerweise fordern von einer medialen Öffentlichkeit, in der Kommunikation immer auch Lärm und Mißverständnis ist, geprägt von einer Ambivalenz der Begriffe?

    Man kann vielleicht fordern, dass wir in den Massenmedien bessere Standards für den Umgang mit Sprache etablieren: einen Weg definieren, der uns aus der Boulevardisierung wieder heraus führt. Oder dass wir in den Schulen intensiver und bewusster uns mit Sprache auseinandersetzen: eine Möglichkeit des Studiums schon in den Kinderschuhen etablieren, das sonst nur Linguisten, Diskursanalytikern oder Post-Kolonialismus-Forschern oder Philosophen vorbehalten ist.

    Aber was der Autor hier einem Buch vorwirft ist im Grunde kaum ernst zunehmen. Denn er wirft dem Buch nicht vor, einen unscharfen Begriff von Kollaboration zu haben, sondern einen Begriff aus der gesellschaftlichen Debatte zu verwenden, die unscharf ist.

    Das sind zwei verschiedene Dinge und man liest in dem Buch, das hier zitiert wird, auch etwas über die Geschichte des Begriffs und die Probleme des Autors damit.

    Der Autor des hier zitierten Buchs ist ehrlicher und näher dran an unserer Sprachkultur, wenn er nicht negiert, dass Begriffe “da draussen” ein unscharfes Eigenleben führen.

    Warum sollten wir so tun, als ob nur hochgebildete Wissenschaftler unsere gesellschaftliche Kommunikation prägen? Wahrscheinlich tun sie das kaum und immer seltener.

    Diesen Phantomschmerz bringt der Text hier zum Ausdruck.

  4. Übersetzungsfehler hat es schon immer gegeben. Die wichtigsten Begriffe unserer Kulturgeschichte sind davon betroffen. zB “Subalterne”. Der Umgang damit ist ein anderer als mit den Fehlern einer Matheklausur. Übersetzungsfehler haben auch eine gesellschaftliche und kulturelle Produktivkraft wie Linguisten herausgefunden haben. Ansonsten danke für den Gedankenanstoss.

  5. “Banause” meinte Handwerker. “Barbaren” waren Nicht-Griechen. Bedeutungen verschieben sich, und das ist auch gut so. Danke für den informativen Artikel.

  6. Die Bedeutung von Wörtern verschiebt sich. Darin sind wir uns einig. Auch darin, dass solche Verschiebungen vielfältige Prozesse sind mit Ambivalenzen, Widersprüchen, Fehlern, Macht und Gegenmacht. Einige Dynamiken habe ich genannt:

    „Wortbedeutungen aus verschiedenen Sprachen überlagern sich. Neue Phänomene treten hervor, für die Wörter gesucht werden. Als kollektives Gut wandelt sich Sprache naturwüchsig mit jedem Sprechakt, aber auch durch sprachpolitische Interventionen.“

    Zwei solcher sprachpolitischer Interventionen waren Auslöser für meine eigene Intervention. Das war – in der redaktionellen Bearbeitung leider etwas untergegangen – der von der Berliner Gazette mit veranstaltete Wikimedia-Salon „ABC des Freien Wissens – K=Kollaboration“ am 08.10.2015 und das Buch von Terkessidis, das den Anlass für die Diskussionveranstaltung gab.

    In beiden Fällen geht es nicht um eine naturwüchsige, beiläufig, gedankenlose Verwendung des Wortes, sondern um bewusste Eingriffe in den Bedeutungswandel, um Bestrebungen eine Bedeutung festzuschreiben, zu kanonisieren – hier in einem „Wörterbuch des Freien Wissens“, dort in einem Edition Suhrkamp Band.

    Wer antritt, den Begriff „Kollaboration“ aus der Umklammerung des Faschismus zu befreien (adolf) oder gar zum „ethischen Leitprinzip“ der Gesellschaft zu machen (Terkessidis), wird sich fragen lassen müssen, welches Ziele er mit dieser Wortwahl verfolgt, ob er Alternativen zu Erreichung des Ziels geprüft und die Vor- und Nachteile der eigenen Entscheidung abgewogen hat.

    Zur Begründung für die Wahl des Wortes „Kollaboration“ finden sich in Terkessidis Buch tatsächlich nur die beiden zitierten Sätze auf der ersten Seite. Mehr kommt da nicht. Auch seine beharrliche Weigerung, seinen Zentralbegriff zu definieren, lässt eine bewusste Strategie vermuten: Im Ambivalenten bleiben, um sich nicht angreifbar zu machen. Eine kritikfähige Definition ist daher nach meinem Verständnis ein wichtiges Kriterium für Begriffsschärfe.

  7. @sharp: 100% d’accord zur Forderung nach bewussterer, kritische Auseinandersetzung mit Sprache in Schule und Medien. Genau dazu möchte der Text einen Beitrag leisten.

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