Das Blog als Roman

Ich habe – fuer meine Generation – relativ frueh damit begonnen, mit Verwerfungen zu arbeiten, deren gesellschaftliche Auswirkungen im Siegeszug der Neuen Medien, den ich ueberaus bewusst miterlebt habe, unuebersehbar waren.

Bereits in meinem WOLPERTINGER- Roman von 1993 spielt ein Computer, im dortigen Fall ein Bio-Computer, fuer das ansonsten barocke bis romantische Geschehen eine entscheidende Rolle. In dem ersten ANDERSWELT-Roman versuchte ich mitzudenken [und zu fantasieren, klar], was das Internet in Bezug auf unsere Wahrnehmung von Realitaet bedeutet und dass unsere Wahrnehmung immer zugleich auch Realitaeten veraendert, weil Handlungen aus ihr resultieren, die ohne diese Wahrnehmung gewiss andere waeren.

In diesem Zusammenhang spreche ich von einer >Realitaetskraft der Fiktionen<. Damals wurde von einer Freundin an mich herangetragen, ich muesse unbedingt meine Poetologie im Netz-selber weiterentwickeln. Was ich tat und tue. Ich bin ganz sicher beides, Buchautor und Netzautor, wobei beide Publikationsformen eng zusammenhaengen. Deshalb habe ich meinem hauptsaechlichen Netzforum, dem von twoday gesponsorten Literarischen Weblog DIE DSCHUNGEL. ANDERSWELT den Beinamen meiner Anderswelt-Trilogie mit auf den Weg gegeben: >Anderswelt<. Mich interessiert die Vermittlung der Medien, ich bin ziemlich konservativ und gaebe deshalb das Buch hoechst ungern auf; zugleich ist mir bewusst, dass es durch die Neuen Medien einen Umbruch – eine Verwerfung eben – der Schriftkultur gegeben hat, deren Ende noch lange nicht in Sicht ist. Einerseits halte ich es fuer eine Frage des literarischen Ueberlebens, sich den Neuen Medien auszusetzen und mit ihnen zu operieren, andererseits ist das aber auch ein Abenteuer. Tatsaechlich verschaltet sich das Internet viel unmittelbarer mit dem Gehirn als ein Buch das kann. Die Fiktionen, also Erfindungen, Geschichten, Romane usw., finden geradezu direkten Eingang in den Leser. Ich weiss nicht, ob man alle Kanaele nutzen muss; das ist nicht nur eine Frage des Temperaments und der Ueberzeugungen, sondern auch von Begeisterungen, bzw. Skepsis. Sicher ist, dass auch in Zukunft dasjenige stark wahrgenommen werden wird, was der publizitaere Apparat machtvoll annonciert: n o c h sind das Netzpublikationen n i c h t. Noch wird das Buch als das >Eigentliche< gehandelt. Ob sich das aendern wird, ist insofern eine Frage der Interessen. Gegenwaertig wird aus Gruenden des Machterhalts nachdruecklich mit Fetischen operiert, und ein solcher Fetisch ist das Buch ist ganz fraglos. Es gibt darueber hinaus und damit zusammenhaengend den meisten Menschen ein Gefuehl von Heimat. Das ist fuer das Netz, im Allgemeinen, noch anders, auch wenn die Bloggerszene zeigt, wie radikal sich das verschieben kann. Wahrscheinlich wird es sich in den kommenden Generationen ganz anders darstellen, in welchem Mass ist aber derzeit kaum zu bestimmen. Allerdings gibt es deutliche Indizien fuer die Zukunft - Sie muessen sich nur vergegenwaertigen, dass in der Industriegesellschaft schon heute etwa 20 Prozent aller jungen Menschen ihren ersten Geschlechtspartner nicht etwa ueber einen realen Kontakt, sondern ueber das Internet kennenlernen. Ich halte das fuer signifikant. Viel interessanter als der Erzaehler ist aber der Umstand, dass der Autor eines Literarischen Weblogs zur F i g u r wird, er selber ist Literatur. Denn wen l i e s t ein Leser? Doch nicht die reale Figur des, sagen wir, Alban Herbsts, sondern Alban Herbst als einen vermeintlich realen Menschen, der aber doch sehr genau aussucht, was er von sich erzaehlt und was nicht; vor allem ist letztlich niemals feststellbar, wo Reales, wo Erfundendes berichtet wird.

Das gilt natuerlich erst einmal fuer j e d e s Weblog, das persoenliche Inhalte erzaehlt, und es waere ebenfalls banal, wuerde nicht in einem Literarischen Weblog mit dem Klarnamen operiert. Da aber findet sich mein Haupt-Ansatz, ganz ebenso, wie ich seit Jahren >real existierende< Personen zu Handlungstraegern meiner Romane gemacht habe, zusammen mit erfundenen Personen, also Figuren. Das fuer mich interessante ist, dass beide denselben Gestaltungsbedingungen folgen. In einem Literarischen Weblog wie in einem Roman gibt es quasi den Unterschied zwischen real und fiktiv nicht mehr – wobei ich von der Wahrnehmung spreche, selbstverstaendlich, nicht von realen Geschehen, die anderen determinierten Prozessgesetzen unterliegen.

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