Auch Du bist Europa

Wenn ein Mensch die Mitte seines Lebens erreicht, kommt es haeufig dazu, dass er anfaengt dieses kritisch zu ueberdenken und gefuehlsmaessig infrage zu stellen. Manchmal weitet sich das Ganze zu einer regelrechten Identitaetskrise aus. In der modernen Industriegesellschaft ist fuer diese Lebensphase der Begriff Midlife-Crisis gepraegt worden. Wenn die Europaeische Union ein Mensch aus Fleisch und Blut waere und man ihren Geburtstag irgendwann nach dem zweiten Weltkrieg datieren wuerde, dann erreichte sie diese Phase vermutlich genau jetzt. Und es scheint in der Tat so zu sein, dass die EU gerade in einer handfesten Identitaetskrise steckt. Jedenfalls ergab sich dieses Bild, wenn man letzten Sonntag die Abschlusstagung der Berliner Konferenz in der Akademie der Kuenste besuchte. Dort trafen Politiker und Intellektuelle aufeinander um >Europa eine Seele zu geben<. Doch genau mit diesem Anspruch fangen die Probleme auch schon an: Wie soll diese Seele eigentlich aussehen? Was macht Europa und die europaeische Union aus? Was ist die Identitaet der Europaeischen Union? Sprache funktioniert in diesem Zusammenhang immer ganz gut als identitaetsstiftendes Moment, aber eine gemeinsame Sprache gibt es in der EU nicht. Dann gibt es Religion: noch komplizierter. Geografische Grenzen? Wir leben im Zeitalter der Globalisierung. Gemeinsame Werte? Auch keine wirklich gute Idee. Ich schlage vor: Pluralitaet. Das, was wir in der EU alle gemeinsam haben, ist, dass wir alle verschieden sind. Egal ob Deutsch-Tuerke oder Italo-Vietnamese – du kannst Europaeer sein. So stell ich mir mein Europa vor. Midlife-Crisis hin oder her.

3 Kommentare zu “Auch Du bist Europa

  1. Identitaet hat immer auch was mit Grenzen zu tun: ich vs. du; us vs. them. Ganz konkret im Falle von Europa: Wer ist drin, wer ist draussen? Der Club wird von ganz realen, greifbaren Grenzen geschuetzt; Grenzen, die in letzter Zeit immer straerker in Verruf geraten, weil ihre Durchlaessigkeit willkürlich ist; weil sie Menschenopfer fordern, etc. Insofern hat die EU auch auf einer ganz materialistischen Ebene ein Identiaetsproblem. Wollte man ein plurales Europa zum Ideal erklären, müsste es ein Europa sein, dass offene Grenzen hat. Es müsste eine durch und durch transparente Offenheit sein.

  2. Warum kann man Identität eigentlich immer nur durch Abgrenzung generieren. Ist das nicht einfach nur der Weg des geringsten Widerstandes. Identität bedeudet streng genommen Gleichheit mit sich selbst. Kann man das nicht auch aus sich selbst heraus erreichen?
    Und die offenen Grenzen: Das wäre auch mein Traum, aber in der Realität haben wir viel zu viel Angst davor, alle reinzulassen. Ich übrigens auch. Ich wünschte es wäre nicht so. Aber was kann ich schon dagegen tun?

  3. “Identität bedeudet streng genommen Gleichheit mit sich selbst. Kann man das nicht auch aus sich selbst heraus erreichen?”

    Nein, dass kann man nicht. Kein Individuum kann das, es geschieht immer in Reflexion mit der Umwelt, es gescheht durch Konditionierung.

    Ein Gebilde wie die EU kann keine Identität für gesunde Menschen stiften und selbst wenn, wäre immer noch ganz grundsätzlich die Frage zu stellen, warum es das überhaupt sollte? Diese Frage muss am Anfang stehen und sie hat bisher noch keiner der EU-Fetischisten beantworten können. Warum wohl?

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