Medienkunst erledigt? Antwort#5

Ich hatte dieses Jahr auf der Transmediale ziemlich viele Deja-vu-Erlebnisse und sagte mir: interaktiv heisst inzwischen infantil. Dann habe ich im Club Transmediale beim share mitgespielt, mit meinem Keyboard und meinem RotTT-Kollegen Antialias inmitten von ein paar Dutzend Laptop-Kids, und was haben die gespielt? House Musik der banalsten Sorte, hochmedialisiertes, aber extrem unterkomplexes Zeug. Neues scheint, zumal in der Medienkunst, von den gerade gehypeten neuen Technologien abzuhaengen, vergleichbar dem Arbeiten mit neuen Materialien in der bildenden Kunst.

Bild: Norbert Bayer

Ich erwarte medienkuenstlerische Arbeiten, die sich auf blogs, myspace, Games, Handies, 2nd world, e-paper etc. beziehen. Da der Umgang mit Neuen Medien inzwischen ein Kinderspiel ist [und nicht mehr dieses Millionen-$-Dings, das Medienkunst mal exklusiv und die bekannten Medienkuenstler bekannt gemacht hat] und der generelle bildende Kuenstler inzwischen auch lockerer mit Computern etc. umgeht [und sie nicht mehr, wie noch gar nicht lange her, fuer Teufelszeug haelt], duerfte auch hier Vermassung einsetzen. Gestern sprach ich mit einem Vertreter einer grossen Berliner Softwareschmiede fuer Videoschnitt-Programme, und er sagte, die Hauptzielgruppe seien bei ihnen Rentner – von da kann auch noch einiges an Naiver Medierei erwartet werden. Die Schrottmenge wird also wachsen, aber, einfach nur aus quantitativen Gruenden, auch die Chance, dass was Interessantes dabei ist.

Ich glaube – und das ist keine ironisch-launische Bemerkung -, dass das Thema >bullshit< gerade im Kommen ist [s. etwa Oswald Wiener: Humbug, in: Der Ficker, Band 2, Wien 2006], und da gibt es natuerlich gerade in der >Medienkultur< viel ab-, d.h. in den Orkus zu arbeiten. Gestern behauptete jemand, dass auf utube taeglich 50.000 neue Videos eingestellt werden. - Wie gesagt: das Exklusive ist weg. Monsterscreens und Wireless-Interaktiv-Schnickschnack steht inzwischen in fast jedem Kinderzimmer; dass irgendwas >Neues Medium< heisst, ist kein besonderes Kriterium mehr. Komplexitaet und Originalitaet bleiben freilich Aufgaben, die so schwierig sind wie sie immer waren. Neulich mal nach langem wieder ein Kunstwerk gesehen, das mich beeindruckt hat, von Nadja Schoellhammer beim Goldrausch im Kuenstlerhaus Bethanien, und die war im wesentlichen aus Papier [auch ein Medium?].

11 Kommentare zu “Medienkunst erledigt? Antwort#5

  1. na ja, manuel, ich habe mir die rott-streams reingezogen: mal ehrlich, das keyboardspiel kam kaum über mein kindliches naivklimpern hinaus. oder verstehst du etwa unter komplexität ein gruppenklimpern, bei dem jeder für sich (selbst) spielt? (ist das schon etwa eine art selbstreflexion?) dann ist es aber ein “extrem unterkomplexes zeug” – die paar akkorde zu “schalten” ist auch auf dem papier nichts anderes als preset-klicken der laptop-kids.
    sonst bin ich mit dir einverstanden. mit wachsender rechenkraft fallen auch die begrenzungen. memory-map des c64 konntest du noch im kopf tragen und die “komplexität” “originell” (im sinne des subjekts) ausspielen. die neuen medien sind übringens, um mit einer variation auf ein bekanntes latourthema zu schließen – nicht nur im bezug auf ihre materialität – nie neu gewesen.

    gruß
    v.d.

  2. Nun ja, wenn x Leute mehr oder weniger das selbe spielen zu zwei sich abwechselnden Akkorden in einem relativ simplen 4/4tel-Takt, halte ich das für “unterkomplex”. Und das mochte ein wenig nach House und damit moderner klingen (wobei House auch eine schon etwas ältere Gattung ist), scheint mir aber noch öder als jene ewigen Blues-Sessions, die wir vor Laptop musikalisch Sozialisierten seinerzeit staendig machen mussten. Da hat man heute die tollsten Geraete, zu denen vergleichbare Leistung damals Unsummen gekostet haette, und macht so wenig damit. Das finde ich sehr unbefriedigend. Dann sollen meinetwegen Leute falsch nebenherklimpern, das hält einen dann vielleicht ein bisschen wach. Bei The RotTT sind wir auch keine musikakademischen Profis (eher musizierende Künstler), aber das interessiert doch deutlich mehr (www.rottten.info, http://www.myspace.com/therottt).

  3. ja, klar. die “störung” oder der “parasit” wird auch die nach laptop musikalisch sozialisierten “wachhalten”. und anscheinend haben sie erfolg, wenn sie dich mit ihrem nicht nutzen der ressourcen oder dem – womöglich aus dem bewußtsein der “unbegrenzten” möglichkeiten quellenden – verspielen der alternativen unbefriedigt dastehen lassen. ich wäre da mit pauschalen wertungen etwas vorsichtiger…

  4. Ich tu mir leider sehr schwer zu verstehen, was Du zuletzt geschrieben hast. Ja, Störungen wirken auch auf die Generation Laptop. Und dann willst Du sagen, dass das Vermeiden von Störungen mich unbefriedigt läßt bzw. die Nichtstörung mich stört bzw. die Nichtstörung also auch eine Störung sein kann und von daher auch schon wieder “erfolgreich” (komplexer?) und d.h. progressiv ist, oder wie? Verstehe es wirklich nicht.

  5. ok. ganz einfach. deine pointe: “Komplexitaet und Originalitaet bleiben freilich Aufgaben, die so schwierig sind wie sie immer waren.” ist zwar unspezifisch richtig und im bezug auf transmediale wohl treffend, erledigt aber die frage nach der medienkunst.

    ich vermute, die frage hat doch was mit der spezifizität des “digitalen” zu tun – immerhin zeugen auch deine beispiele davon. wenn das thema “bullshit” gerade im kommen sein soll, so hätte ich zwei fragen:
    was genau hat das mit dem “digitalen” zu tun? (war am gallery-weekend etwa was anderes zu sehen?) und
    was konkret hast du den laptop-kids anzubieten? (ein tauschangebot im sinne “deren” ökonomie)

  6. Damit hast Du deine vorherigen Bemerkungen zwar immer noch nicht präzisiert, aber wo gefragt wird, soll auch geantwortet werden.
    Ich habe nichts dagegen, wenn die Frage nach der Medienkunst erledigt ist. Das wollte ich ja sagen: Nach all dem Voodoo mit Neuen Medien bin ich froh, dass das Neue an ihnen blass geworden ist und sie in vielerlei Hinsicht jetzt beliebige künstlerische Medien unter anderen sind. (Mal abgesehen davon, dass Computer als Universelle Turing-Maschinen spezifische Eigenschaften haben, die andere Medien nicht haben und die, falls möglich, zu überschreiten noch immer eine Aufgabe wäre.)
    Und auch wenn der Glamour des Neuen aus den Neuen Medien raus ist, gibt es freilich noch genügend Leute, die mit dem Neuen an den Neuen Medien Karriere gemacht haben und die jetzt, um ihren Status aufrechtzuerhalten, immer wildere Thesen aufstellen müssen, immer höher im Ton, aber immer leerer im Inhalt. Das meint “bullshit”, s. Norbert Bolz und ähnliche.
    Den Laptop-Kids werden die “Medien-Theorien” vermutlich egal sein. Mich verwundert bei ihnen einstweilen, dass die dargestellten Neuen Möglichkeiten so wenig ästhetisch Neues hervorbringen. Mir kommt das alles sehr glatt und homogen und langweilig vor. Wo sind, um irgendwelche Beispiel zu konstruieren, die Leute, die Techno mit ungeraden Takten a la turca zusammenbringen oder House mit Schönberg? Und da kann das Angebot nur Bildung sein: Ästhetische Bildung, Musikgeschichte, meinetwegen auch mal Free Jazz hören. Und begreifen, dass die Möglichkeiten des Computers mit den je angebotenen Benutzerschnittstellen nicht enden, sondern letztere erstere vielleicht eher verdecken. Und, wie gesagt, offensichtlich Konformität produzieren.

  7. hm… um meine frageposition klarzustellen: deine pointe und die beispiele, die du heranholst, sprechen doch dafür, dass das “digitale” wenn nicht einen besonderen, dann zumindest einen anderen platz besetzt. (stichwort repräsentation, skalierbarkeit, etc.)
    so werden auch die “künstlerischen strategien” der laptop-kids anders gestrickt sein müssen, als die von (charmant politischen) rotten-whatever. es ist vielleicht nicht die stärkste these, aber die “infantilisierung” der interaktivität oder “unterkomplexität”
    können durchaus legitime nicht-triviale “phänomenotechniken” sein. ich würde den laptop-kids ihre eigene (politische) sprechposition nicht absprechen.

    deine letzten antworten sind gut vertretbare stellungen. damit bin ich auch bis auf einen unterschied einverstanden: für mich stellen auch die laptop-kids ein “bildungsangebot” dar.

  8. Wie gesagt, da gibt es eine merkwuerdige Kluft zwischen dem Umstand, dass man mit dem universalen Computer theoretisch ‘alles’ machen kann, und dem, dass die Perfektionierung der Schnittstellen dazu anscheinend nicht motiviert und das Spektrum der praktischen Ergebnisse anscheinend eher verengt.

    Dass diese Verengung eine bewusste Strategie ist, mag ich nicht glauben; das muesste mir mal jemand belegen.

    Gestern fand sich eine Doppelseite über HiFi in der Süddeutschen Zeitung, ungefähr des Tenors, dass früher das Aufnahmeideal eine möglichst exakte Wiedergabe (etwa der Dynamik eines Stücks) war, während jetzt der Sound digital gefiltert wird, um z.B. die Bässe zu verstärken, was einem gewissen heutigen Klangideal entsprechen soll – mit dem Ergebnis einer allgemeinen Homogenisierung der Klänge. Und einer Abnahme der allgemeinen Hörkompetenz – sprich: Der allgemeine Hörer läßt sich heute viel leichter mit Einheitsbrei abfüttern.

    Was ist denn das ‘Bildungsangebot’ der Laptop-Kids?

  9. das kontingenzbewußtsein der universelen maschine ist genau das, was mich interessiert. die “kluft” ist keineswegs merkwürdig, sondern ein gut zu umreißender diskurseffekt in der hardware- und software-entwicklung. mit kulturkritischen kommentaren – die ja gar nicht so platt sein müssen, wie “heute nur noch einheitsbrei” – liegt man natürlich richtig, aber am vollkommen falschen ort. die konjunktur des themas (sz kredenzt es ja regelmäßig) muss nicht aus dem thema selbst zu erklären sein! wie es dem auch sei… laptop-kids sind z.b. – wie mir scheint – (werte-)flexibler und somit künftig besser ausgestattet für den digitalen alltag. denn es geht ja nicht nur um “differenz und wiederholung”, oder quantität/qualität, inhalt/form und was-alles-sonst-noch, sondern auch um “tempo”. daher wahrscheinlich (unter anderem) auch die verengung – je schneller man läuft, desto weniger bekommt man mit. das gilt dann auch umgekehrt. ob da die “gute alte” deutsche-gramophon-platte in 24bit/192khz auf der “fest”platte liegt oder billigster raster-noton house in 128kbs ist nicht vom belang – da lerne ich gern was dazu ;-)

  10. Das “Kontingenzbewusstsein der universellen Maschine” – da lieferst Du ja ein geradezu ideales Beispiel für das, was ich mit “bullshit” meine.

    Und alle (zugegeben, mithin etwas altväterlich klingenden) musikästhetischen Qualitäten einfach mit dem Ruf nach “Tempo” wegzuwischen, mag im futuristischen Furor ja Spaß machen, kann ich aber auch nicht akzeptieren. Da verläuft freilich ein Generationenbruch: Leute wie ich haben noch diverse (akustische) Instrumente gelernt und Musikwissenschaft studiert; Musik ist für mich vor allem was zum Zuhören.

    Während die Laptop-Club-Generation Musik vielleicht eher – sagen wir mal: ekstatisch auffasst, als atmosphärisches Kontinuum erlebt, das den Körper ohne Umwege über das Bewußtsein in Bewegung setzt, wo es aber auf das einzelne Klangereignis gar nicht mehr ankommt. Das ist natürlich nicht verboten oder verwerflich, im übrigen aber auch nichts Neues (wenn man etwa an bestimmte afrikanische oder südamerikanische Musikkulturen denkt). So gesehen ist der digitale Aspekt dann dabei aber auch ziemlich egal.

  11. ok. “musik” transzendiert “das digitale” ebenso wie (theorie-)”bullshit” und ich muss dabei nicht wieder an das “zuhör”ereignis “requiem für j.b.” erinnern…

    sind aber ästhetik, ökonomie oder politik nur “parallel” zur materie zu denken? immer mehr torrents kann man in flac haben und das nur wegen bandbreite und festplattenraum. dass die feuilletons bald von der neuen, unerhörten mehrkanaldynamikbreite schwärmen, steht ja so gut wie fest. (so auch die versioning-vorgaben der musiksoftware-hersteller – meine “kritik” würde vielleicht irgendwo hier ansätzen)

    übrigens war die klavier-virtuosen-produktion des 18.jhs. genauso fest mit der industrialisierung und maschinisierung verbunden, wie die laptop-kids mit der “digitalisierung” seit mitte 1990er. der musikalische “ausdruck” (feuilletonistischer gegenpol zum preset-klicken) fungierte dabei wie eine konformität produzierende disziplinar-manufaktur.

    mit “tempo” meinte ich vielmehr die möglichkeit, oder gar notwendigkeit, bei diesen nachweisbar materiell bedingten und in folgen recht zügigen veränderungen des digitalen alltags mitzumachen – das beharren stünde in meinen augen dem mitgestalten im wege: es gibt ja durchaus laptop-kids, die gern eine sonatine “digi”cratique programmieren… und irgendwann sind sie ja erwachsen.

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