Seismograph der Sinnsysteme

Allstar-Teams begegnet man heute so gut wie ueberall. Ob im Kino, TV oder Sport. Gepraegt wurde diese Idee nach dem Zweiten Weltkrieg in der Musikbranche. In der ersten Hochphase der Allstar-Bands zwischen 1945 und 1960 rekrutieren sich Mitglieder solcher Combos meistens aus Jazz- und Rockbands. Die symbolische Funktion jener Allstar-Formationen war indes mit der damals ebenfalls in Erscheinung tretenden UNO-Tagungskultur vergleichbar: In der chaotischen Nachkriegszeit half die Weltauswahl, die Welt zu ordnen. Den maechtigen Staaten gleich, stellten die glaenzenden Groessen des Allstar-Teams Orientierungs- und Fixpunkte dar. Diese Funktionslogik scheint auch heute noch zu greifen, in Zeiten, da das Allstar-Ensemble in allen Bereichen der Kulturproduktion zu Hause ist. Natuerlich laesst sich nicht alles ueber einen Kamm scheren. Ausserdem gibt es Zweifler. Robert Altman zum Beispiel. Wie kaum ein anderer hat er dieses Modell in Frage gestellt.

Obwohl der juengst verstorbene US-Regisseur mehr als 80 Filme gedreht hat, ist er heute lediglich fuer eine Handvoll bekannt, die jeweils nach seinem Durchbruchserfolg >MASH< [1970] und nach seinem Comeback-Hit >The Player< [1992] entstanden. Die Altman-Reihe, die gerade im Berliner Filmkunsthaus Arsenal auslaeuft, hat sich nun nicht die ganzen Versaeumnisse vorgenommen, sondern ein wichtiges Leitmotiv dieses sperrigen Oeuvres ins Blickfeld gerueckt: den >Vielpersonenfilm<, den Altman mit dem wuchtig- maeandernden >Nashville< [1975] praegte und dem er in Produktionen wie >A Wedding< [1978], >Short Cuts< [1993], >Pret-a-Porter< [1994] und >A Prairie Home Companion< [2006] stets neue Facetten abrang. Mit einem spektakulaeren Staraufgebot von bis zu 20 Figuren bliess Altman immer wieder zum Angriff auf die ueberkommene Idee des Allstar-Ensembles als Weltordnungsbewahrer. Mit seinen nicht selten hochkaraetigen Aufgeboten liess er Staedte, Gesellschaften, Industrien und Unterhaltungshows entstehen, um die Beschaffenheit und Fragilitaet dieser >Welten< oder besser noch: >Sinnsysteme< vorzufuehren. Altman war mit seinen Allstar-Filmen ein Dekonstrukteur im wahrsten Sinn dieses haesslichen Wortes: Er stellte in immer wieder neuen Anlaeufen die Konstruktionsprinzipien unterschiedlicher Sinnsysteme aus. Altman: >I am not telling a story, I am showing.< Er zeigte die Super-Architektur als Skelett: nackt und bruechig. Und irritierte damit viele. Der Kulturkritiker Greil Marcus etwa, sah in Nashville eine >Orgie des Ja, als Nein maskiert<. Er meinte ein Ja zum Zusammenbruch des Systems, zum Verfall der Werte, kurz: zum [schleichenden] Untergang der Welt. Doch waren Altmans zynische Visionen wirklich einfach nur Bestaetigungen dafuer, dass >unser< Experiment gescheitert ist, so dass >wir< uns nicht mehr mit den gefaehrlichen, unberechenbaren Zielen >unseres< Handelns beschaeftigen muessen? Wenn Altman Welten aus den Fugen geraten liess, dann nicht nur um zu zeigen >so sieht die Konstruktion von Innen aus<, sondern auch um ein Danach in Aussicht zu stellen. Bestes Beispiel: Das grosse Beben am Ende von Altmans epischem L.A.-Film >Short Cuts<. Der Erdrutsch verbindet alle Figuren - von Tim Robbins, ueber Tom Waits bis hin zu Robert Downey Jr.; laesst sie erstmals als Teil eines grossen Ganzen erscheinen, das just in diesem Moment unterzugehen droht. Am >Tag danach< geht jedoch eine neue Sonne im Leben aller auf.

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