Von der Zukunft lernen

Wenn ich mir Gedanken mache zum Thema Lernen, dann faellt mir als erstes ein Halbsatz ein, dessen Herkunft ich gar nicht zuordnen kann: >You better learn<. Die zweite Haelfte, die Fortsetzung, das, was man doch besser mal lernen moege, fehlt dabei. Das, was ich lernen moechte, wird nicht von konkreter Anwendbarkeit bestimmt und bezieht sich damit wohl genau auf diesen Halbsatz.

Ich blicke mit grossen Augen in eine Welt. Sie bewegt sich zwischen dem Ende von etwas und gleichzeitig am Anfang von etwas. Was genau das ist, weiss ich nicht. Beeindruckt hat mich ein Text von Otto Scharmer zu seiner >Theorie U<, in dem er Vaclav Havel zitiert: >Es [unsere Zeit] ist so, als ob etwas taumelt, schwankt, schwindet und sich selbst erschoepft – waehrend sich etwas anderes, noch Unbestimmtes, langsam beginnt aus den Truemmern zu erheben<. Das sind spannende, sehr herausfordernde und offene Zeiten. Diese Ambivalenz interessiert mich. Hier, dazwischen, beginnt mein Interesse am Lernen. Dabei stellen vier Begriffe meine momentanen Koordinaten dar: Meisterschaft, Konzentration, Presencing und De-organisation. Meisterschaft verehre ich. Denn eigentlich bedeutet es, selbst auf die einfachsten Dinge bezogen, die Investition von Zeit, viel Zeit, manchmal sicher einem ganzen Leben. Besonders beruehrt bin ich von Tuschemalerei. Ganz einfache Formen. Ganz einfache Mittel. Und doch das beinahe endlose Ueben, die Einuebung ins >Jetzt<, um wirklich in der Gegenwart praesent zu sein. Die wichtigste Lernmethode dabei ist das Vorzeigen und Nachahmen. Wenn ich Zeit haette dafuer, wuerde ich gerne Meister der Tuschemalerei werden. Konzentration brauche ich. Fuer mich geht es dabei um innere Ruhe und Konzentration, den Bezug zu einem fuer mich selbst als wesentlich identifizierten Gegenstand, Ding, Gedanken. Es ist eine Herausforderung, das zu entwickeln. Und wie den meisten Menschen faellt es mir schwer, mich wirklich zu konzentrieren. Wie den meisten Menschen faellt mir nur selten auf, wie wenig konzentriert ich bin. Man sagt: >bei der Sache sein<. Ob fuer mich zum Beispiel ein Kloster als Lernumfeld das richtige waere, weiss ich nicht. Vielleicht reicht ein Garten, Baum, Berg. Aber Konzentration ist etwas, was ich lernen moechte. Presencing ist eine Begriffsschoepfung aus >presence< [Gegenwart] und >sensing< [fuehlen, erspueren] und wird von Otto Scharmer vom MIT in seiner >Theorie U< eingefuehrt. Was genau damit gemeint ist, kann man nachlesen. Wichtig ist mir - auch mit Blick auf mein Interesse an Fuehrung und Leadership - dabei die Kritik an der Auffassung, der einzige Weg zu lernen, sei auf der Basis vergangener Erfahrungen. Fuer Scharmer geht es im Gegenteil darum, die eigene Zukunftsmoeglichkeit wahrzunehmen und zu aktualisieren - eine direkte Verbindung zu der Zukunftsmoeglichkeit herzustellen, die uns braucht, um in die Welt zu kommen. Das finde ich unglaublich spannend. De-organisation beschreibt fuer mich eigentlich genau das Gegenteil von dem, was ich taeglich mache und auch von dem, was ich notwendiger- und sinnvoller Weise anbiete als Leiter der Akademie fuer Politik und Management, GreenCampus. Bei Weiterbildung geht es in der Regel um die Verbesserung von Projektmanagement, die Professionalisierung von Kommunikation und Organisation. Dabei wird selten beruecksichtigt, dass erst durch die Aufhebung und das Infragestellen von Bewaehrtem, Neues passieren kann und genuegend Raum geschaffen wird fuer freies Denken. Dafuer braucht es Zeit und andere Ressourcen und mehr als gaengige >Kreativtechniken<. Da es aber in aller Regel um ein staendiges Mehr und oftmals um direkt wahrnehmbare Effektivierung geht, ist auch kein wirkliches Ent-wickeln moeglich. Daher bleibt der eingangs zitierte Halbsatz bestehen: You better learn! [Anm. d. Red.: Der Verfasser des Textes ist Leiter von GreenCampus, der Weiterbildungsakademie der Heinrich-Boell-Stiftung.]

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