Packen fuer Palanga

Eine goldene Reisetasche matt schimmernd. Erinnerungen an meinen ersten Trip ausserhalb Europas. 1991. Indien, Thailand, Malaysia. Ein Rucksack, wenig Geld. Der schwerste Gegenstand: ein Vorhaengeschloss, das ich in Neu Dehli kaufe – fuer Gepaecksicherheit auf langen Zugstrecken. Was ist noetig, um auf Reisen zu gehen? Was muss ich von zu Hause mitnehmen? 1992. Tokio: ein Typ ohne eigene Garderobe in den Nachrichten; jedesmal wenn seine Kleider dreckig sind, schmeisst er sie weg und kauft sich neue. Der perfekte Ansatz zur leichten Mobilitaet? Wenn es so etwas gibt wie… leichte Mobilitaet.

Zumindest versuche ich so zu reisen. Und wenn ich reise wird Vergnuegen/Freizeit zur Arbeit. Insbesondere beim Tourist-sein. Notitzen machen, fotografieren, Material sammeln, tonnenweise Postkarten kaufen, Leute interviewen, Tagebuch fuehren, nachdenken. Touristische Pilgerorte, insbesondere die, die als solche inszeniert werden, versetzen mich in Arbeit. Ohne Arbeit kann ich diese Orte nicht aushalten. Es gibt nichts erdrueckenderes, als die als die administrierte Atmosphaere von Freizeit.

Jetzt sind ich und Magdalena, meine Kollegin von der Berliner Gazette, gefragt worden einen Workshop an einem solchen touristischen Ort zu veranstalten. Die Arbeitsbedingungen klingen vielversprechend und unmoeglich zugleich: eine Kombination aus Arbeit und Freizeit. Unmoeglich in einem Mekka fuer Muessiggang wie Palanga. Zum ersten Mal packe ich nichts als professionelle Kleidung. In der goldenen Reisetasche: zwei T-Shirts, zwei Hemden, fuenf Socken, fuenf Boxer-Shorts, ein Paar Jeans, eine Windjacke, drei Muetzen, ein Mantel, zwei Zeitschriften, drei Moleskines, vier Stifte, ein Laptop und die Ausruestung, um morgens joggen zu gehen. Wird dieser Trip meine Einstellung gegenueber Arbeit und Freizeit veraendern? Wahrscheinlich werde ich ueber diese Beziehung mehr nachdenken als jemals zuvor. Die Frage ist nur, ob die Zeit dazu da sein wird. Ob ich Freizeit dazu habe.

Meine goldene Reisetasche passiert den Zoll am Berliner Flughafen. Ich erkenne, dass ich mehr dabei habe: Eine Bewerbung fuer Projektfoerderung, von der ich gedacht haette, sie waere schon abgeschlossen, ist doch noch nicht fertig. Ich oeffne den Laptop und arbeite. Dieselbe Situation am Rigaer Flughafen. Im Flugzeug lese ich. Lesen ist wie atmen. Ohne kann ich nicht leben. Ich lese Buecher, E-Mails, manchmal Zeitschriften. Ich lese Gedanken, Situationen und Staedte. Atmen ist sowohl Hin- als auch Rueckticket. Wenn ich aus Palanga zurueck bin, kann ich wieder ausatmen. Ich werde etwas schreiben. In eines meiner Moleskines. Gruen, rot, schwarz. Offensichtlich arbeite ich an einer Trilogie. Es gibt soetwas wie leichte Mobilitaet nicht. Ich habe immer mehr Gepaeck dabei, als ich will. Habe ich schon Rassismus oder Religion erwaehnt? Das ist der Scheiss, den jeder, gewollt oder ungewollt, bewusst oder unbewusst, in seinem/ihrem Gepaeck mit sich herumtraegt. Manch einer versucht das durch extra schweres Reisen aufzuwiegen. Ich gehoere zur anderen Sorte. [Anm. d. Red.: Der Text ist waehrend des Transient Spaces Summercamps entstanden. Die Reihe wird in loser Folge in der Rubrik Reisen fortgesetzt.]

2 Kommentare zu “Packen fuer Palanga

  1. Ich packe meinen Koffer und nehme mit: Ein Buch über Derrida, eine alte Kamera, ein Schlafsack, eine Brille …

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