Wenn ich mal gross bin

Mit acht Jahren hatte ich ein klares Ziel vor Augen: Tieraerztin werden. Das war mein Traum. Bis zu dem Tag, an dem ich erfuhr, dass man als Tieraerztin auch mal samstags arbeiten muss. Der Traum war geplatzt. Bald hatte ich eine neue Idee: Kinderbuchautorin! Denn ich schrieb gerne Geschichten in ein rotes Notizbuch mit weissen Sternen drauf. Als ich begann, Tagebuch zu fuehren, wurden die Geschichten jedoch langweiliger: Es ging immer nur um Steffen oder Michael [Namen von der Autorin geaendert], die mich mal wieder nicht beachteten. Mit 18 Jahren wurde es ernst. Ich wollte als Au-pair-Maedchen in die franzoesische Schweiz gehen und nach einem Jahr perfekt Franzoesisch sprechen.

Doch die drei kleinen Jungen nannten mich nur >la fille au-pair< und wollten mich einfach nicht verstehen. Dann eben gleich studieren. Ich bewarb mich an der Kunsthochschule Weissensee, ohne zu wissen, dass ich mich damit einem der gefuehlt schwierigsten Aufnahmeverfahren der Erde stellte. Leider war ich nicht unter den besten 30, die fuer die Aufnahmepruefung zugelassen wurden. Ich verlor die Geduld und bewarb mich nie wieder an einer Kunsthochschule. Dann kam die Liebe zu schoenen Haeusern mit Glasfronten und Waenden aus nacktem Beton. Architektin wollte ich werden und in Wien studieren. Da gibt es naemlich keine Aufnahmepruefung. Aber meine Mama meinte, das waere zu viel Mathe und da mir Mathe nicht liegt, naja. Dann doch lieber eine andere brotlose Kunst. Jetzt studiere ich im fuenften Semester Deutsche Literatur und Kulturwissenschaft. In den letzten Ferien absolvierte ich ein Praktikum in einer P.R.-Agentur – acht Stunden Buero taeglich und einen breiteren Hintern als vorher. Im naechsten Jahr mache ich meinen B.A. Und ich weiss noch immer nicht, was ich will. Dabei bin ich doch schon 20! Aber warum mache ich mir eigentlich Gedanken darueber? Ich bin doch erst 20!