Die Kultur der Fuehrungskraefte

Fuenfzehn Monologe hat die Dagmar Deckstein, Wirtschaftsredakteurin der Sueddeutschen Zeitung, aufgezeichnet oder aufzeichnen lassen: Von jungen und alten, maennlichen und weiblichen, altgedienten und frischberufenen Managern, ueberwiegend Vorstandsvorsitzende in deutschen [Welt-]Konzernen -aber auch Monologe von Coaches, Headhuntern, Unternehmensberatern, Managementpsychologen, Wirtschaftsethikern und Vermoegensverwaltern finden sich in ihrem Buch namens KLASSE! Die wundersame Welt der Manager.

Die Namen der Sprecher und der einen, einzelnen Sprecherin sind allesamt unkenntlich gemacht, ebenso wie aller genannten und beteiligten Unternehmen und Akteure.

Ich kenne diese Welt nicht – auch wenn ich womoeglich sogar dem einen oder anderen Sprecher dieses Bandes einmal, in Kooperationsgespraechen fuer die Universitaet, an der ich lehre, begegnet sein sollte. Die unausgesprochenen Gesetze eines gesellschaftlichen Feldes, sie sind nun einmal naturgemaess nur den handelnd Beteiligten zugaenglich; und auch diesen nur nach Durchschreiten zahlreicher Pruefungen. Nonchalant gewaehren dann Hoehergestellte den Zugang zum jeweils naechsthoeheren, noch heiligeren und tabuisierten Handlungs- und Machtraum. Die Weisheit der Sozialpsychologie von Pierre Bourdieu beweist sich im Impliziten. Ist nicht jede Institution latent freimaurerisch?

Ausgangspunkt von Decksteins Buches ist ein wiederkehrend in vielen Varianten zitierte Satz eines beruehmten Vorstandsvorsitzenden der Gegenwart, der die Nichtdarstellbarkeit der Kultur der Fuehrungskraefte behauptet. Diese Nichtdarstellbarkeit moechte dieser Band durchbrechen. Tatsaechlich gelingt dies der Autorin sogar; sie dankt es der offenen, unverklausulierten und nur sehr selten diplomatischen Rede ihrer Gespraechspartner. Ich erhalte wirklich einen Einblick in die taeglichen Kleinigkeiten, die sozialen Praktiken dieser machtvollen Subkultur.

Der fragliche Satz, der den Abstand dieser Kultur zur Gesamtgesellschaft so deutlich markiert, wurde von Josef Ackermann 2007 ausgesprochen. Damals war er schon Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank [und wird dies wohl bis 2013 bleiben]. Er antwortete auf eine Frage von Tina Hildebrandt und Matthias Nass vom damaligen ZEITMagazines LEBEN:

ZEITmagazin LEBEN: Sie meinen, Ihr Gewicht wird an Ihrem Gehalt gemessen? Ackermann: Absolut. Als ich zur Deutschen Bank kam, hatte ich zwei Millionen Mark. Wenn ich heute ein vergleichbares Gehalt haette, wuerde ich jeden Respekt verlieren. Man wuerde sagen: >Der hat keinen Marktwert.< Das hat uns damals auch bewogen, die Gehaltsstrukturen zu aendern. Aber natuerlich ist das aus der Logik einer Welt gesprochen, die nicht oeffentlich darstellbar ist, das ist mir auch klar.

Als Versuch einer Vermehrung der Darstellbarkeit ist zu verstehen, dass Deckstein nun jeden Monolog ihrer Gespraechspartner mit einer Situationsbeschreibung einleitet: Wo trifft man sich? Welche Haltung, welches Interesse am Thema bringt der Sprecher mit? Am Ende steht dann meist auch eine Betrachtung, wie beide Gespraechspartner auseinandergehen, wie lange das Treffen etwa gedauert hat, wie die Umstaende am Ende waren?

Trotz allem vermisse ich eine kleine Erklaerung, wie die Aufzeichnung und Transkription dieser Texte vonstatten ging: In welchem Ausmasse musste die Autorin [oder eine angestellte Textbearbeiterin] nachtraeglich eingreifen und glattstreichen? Wieviele Unternehmens- und Kollegennamen waren jeweils zu loeschen? Wie viel Loeschungen erbaten die Gespraechspartner im Nachhinein? Wissenschaftlich will und muss ein solches Buch gegenwaertig kaum sein; mich interessiert solche Klarstellung aber schlicht als Leser, der nachvollziehen moechte, wie die Autorin denn nun konkret gearbeitet hat? Auch um eine weitere Nichtdarstellbarkeit, die des Interviews, zu ueberwinden [pro domo: auch wissenschaftliche Studien verklausulieren und camouflieren ihre schmutzigen Einzelheiten der Vorgehensweise allzu oft]. Das gesamte Buch haette zudem an Ueberzeugungskraft und Seriositaet gewonnen,waeren genretypische Fundstuecke aus dem Zitatwoerterbuch [Schiller, Storm, Fried, Konfuzius, Clausewitz] am Anfang eines Monologs weggelassen worden.

Das Buch, das so unscheinbar wie noch ein weiteres kleines Sachbuechlein, eine Schmaeh- oder Lobschrift der Managerklasse daherkommt, das Buch ist insgesamt eine ueberraschende, nonchalante Studie zur Kultur der Fuehrungskraefte in den 2000er Jahren. Ein lesenswerter Einblick in diese fremde Welt, die ueber meinen und ihren Alltag bestimmt.

Dagmar Deckstein, KLASSE! Die wundersame Welt der Manager, Murmann Verlag Hamburg 2009.

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