Der Autorname als URL

Öffentlich schreiben ist heute so einfach wie eine Briefmarke aufzukleben: Bisschen Spucke, bisschen Feingefühl, Batsch und raus damit. Doch was können wir von einem erfahrenen Blogger lernen? Hartmut Abendschein ist Initiator zahlreicher Netzprojekte und bloggt seit den 1990er Jahren.

Angefangen mit dem Schreiben habe ich wohl Mitte der 1990er. Fuer die Schublade. Erst 2002, als ich einem seltsamen Projekt Namens Antville begegnete, das eine zunehmende Menge Weblogs hostete und wo ich auch noch eines ergatterte, begann ich eigentlich systematischer und kontinuierlicher zu schreiben und dieses via Weblog zu verbreiten.

Es war damals ein Krautundruebenangebot meinerseits, und in der Masse anderer Weblogs kaum sichtbar. Der dortige Raum und die Moeglichkeiten waren allerdings fuer das, was ich vorhatte, bald nicht mehr geeignet und ich setzte daraufhin ein eigenes Weblog, eine umfangreichere Site auf dem eigenen Server auf und lernte auch etwas mit diversen Codes und Sprachen [und nicht nur etwa HTML] zu hantieren.

Es ging mir also darum, eine Schreibweise [oder: Schreibweisen] zu entwickeln, die diese juengsten Moeglichkeiten weiter ausschoepfen konnte. Und umgekehrt: diese Moeglichkeiten in jenes Schreiben zu integrieren. Desweiteren ging es darum, einen Schreibprozess zu stabilisieren, der sich einerseits aus Archivimpulsen speisen, andererseits natuerlich auch Vernetzungen und Selbstvernetzungen transparent machen konnte.

In den sogar Aeusseres [Kommentare, Referrer etc.] einfliessen konnte. Was mir auch gut gefiel dabei, war diese gewisse Aesthetik der Vorlaeufigkeit, die aber freilich nur so erscheint. Das Medium Buch halte ich dabei nicht fuer obsolet. Von mir erscheinen Buecher oder Texte in Zeitschriften, und bestimmte Texte entstehen vielleicht auch mit Blick auf eine spaetere Abgeschlossenheit oder Einheit.

Das Schreiben im Weblog dagegen, auch das Lesen in anderen literarischen Weblogs, ist eine ganz andere Praesenzerfahrung. Eine gewisse Form der Unmittelbarkeit und Zeitnaehe, die ganz unterschiedliche Erkenntnisprozesse bei Schreibenden oder Lesenden ausloesen kann. Das hat auch Folgen fuer den Autorschaftsbegriff. Die beruehmte Frage einer Beckett-Figur >Was ist ein Autor?<, die bekannterweise von Foucault aufgegriffen wurde und die der Autorschaft [dem Autorennamen] quasi Funktionscharakter zuschrieb bei gleichzeitiger Abwertung des Auratischen, ihr also in gewisser Weise Adressierungs- und Buendelungsaufgaben zuordnete, kann heute mehr noch als frueher konkretisiert werden. Ironischerweise bekam die Adresse des Textes eines Autors eine URL. Ein Autorname in einer URL wird und fuehrt selbst zu anklickbarer Praesenz. Autorschaft als suggeriertes Textmonopol, das aber im Umfeld betrieblicher, hocharbeitsteiliger Verfahren tatsaechlich nicht mehr einer alten Autorschaftsidee gehorcht, kann so aber im Vergleich - beispielsweise durch genannte Aktivitaeten - wieder etwas regeneriert werden. Textsubjektivitaet wird dadurch spuer- und erlebbarer. Ich glaube also, manche Texte im Rahmen ihrer Entwicklung zu betrachten, kann diesen zusaetzliche Glaubwuerdigkeit bescheren. LITBLOGS.NET, das 2004 von Markus A. Hediger und mir gegruendet wurde, startete mit ganz wenigen Weblogs und hat sich in den letzten Jahren stark veraendert. Weitere Weblogs kamen hinzu. Einige Autorinnen und Autoren gingen, andere kamen. Und einige sind von Anfang an dabei. Unsere Idee war urspruenglich, Weblogs zusammenzubringen, zu praesentieren und weiter zu verbreiten, Weblogs, die – neben einem explizit literarischen Ansatz – mit einem langen Atem und einer gewissen Nachhaltigkeit betrieben wurden. Bei denen ein gewisser Professionalisierungswille sichtbar wurde und bei denen moeglicherweise ein poetologisches Fundament vorhanden war, auch ein Nachdenken ueber das eigene Schreiben stattfand und bestenfalls auch dieses in so einem medialen Umfeld mitreflektiert wurde. Prinzipiell wollten wir also solche Projekte etwas zusammenfuehren und labeln, die zumindest in einen gewissen Dialog miteinander treten konnten.

Lagen die Schwerpunkte dieses Angebots zunaechst auf der Praesentation und Verbreitung literarischer Weblogs, kamen [auch erst juengst] weitere Aufgaben der Seite zu. Als wissenschaftliche Einrichtungen und Institutionen [DLA / Marbach, DILIMAG / Uni Innsbruck, Germanistik im Netz etc.] den Kontakt mit uns suchten und wir dabei erst erfuhren, wie wenig bislang getan wurde, gerade solche literarischen Projekte, die sich am derzeitigen Medienumbruch ansiedelten, zu dokumentieren, erweiterten wir dieses Angebot auch auf die Dokumentation und [Langzeit-]Archivierung von literarischen Schreibprozessen sowie weiteren magazinartigen Funktionalitaeten. Zunehmend wollen wir auch die Beobachtung von und Beschaeftigung mit Entwicklungen des literarischen Felds und Lebens im Kontext kontinuierlicher Medienumbrueche miteinfliessen lassen.

Seit Ende 2008 wird das Angebot von Christiane Zintzen und mir herausgegeben. Christiane Zintzen ist da, und auch in anderen Projekten, aehnlich interessiert, das wird in den juengsten Entwicklungen schon spuerbar: die Moeglichkeiten dieser Formen des Schreibens auch technisch und bezogen auf die Metadatierung weiter auszuloten und diese in einen relevanten Publikationskontext zu stellen. Im Herbst erhoffen wir uns da weitere Impulse von einer gemeinsamen Veranstaltung mit der Universitaet Innsbruck, dem dortigen Literaturhaus und anderen institutionellen Vertretern.

Die Idee und der Betrieb der edition taberna kritika [etkbooks] ist u.a. auch eine konsequente Fortfuehrung des Ansatzes oben. Wurden ganz zu Beginn noch spezielle Weblogprojekte oder andere experimentelle Texte printediert, so wurde die edition bald programmatisch erweitert. Die zunehmende Umkonzeptionierung von [bspw. wissenschaftlichen] Bibliotheken in hybride Bibliotheken und die Erschliessung des E-Book-Marktes durch Verlage foerdert einerseits bestimmte digitale Publikationsformate und deren Archivierung, andere wiederum [Hypertextuelle Projekte, weblogartige Ansaetze und solche, bei denen speziellere Softwares oder Scripte zum Einsatz kommen] fallen diesbezueglich oft ausser Betracht.

Ein Grossteil der Netzliteraturprojekte, auf die auch von Seiten schon digitalisierter Sekundaerliteratur hingewiesen wird, ist kaum mehr zu besichtigen bzw. nur noch als Ruine vorhanden. Die edition, als hybrider Verlag, bemueht sich, solche bzw. kuenftige Projekte in Auswahl zu versammeln, diese miteinander in Beziehung zu setzen, zu vermitteln und bei der Deutschen Nationalbibliothek, die erst seit kurzem ueber ein in Produktion gegangenes Langzeitarchivierungskonzept verfuegt, einzureichen. Auch hier ist also die Dokumentation und Archivierung ein Anliegen. Die digitalen Projekte, die vielleicht ebenso als >Schreibweisen der Abweichung< bezeichnet werden koennen, sollen aber damit keineswegs im Gegensatz zu der im Printbereich formulierten Programmatik einer anspruchsvollen formalen, inhaltlichen und sprachlichen Experimentalitaet stehen, sondern diese auf ihre Art und Weise ergaenzen. Es gibt einige Trends wie Twitter, die basale Eigenschaften von z.B. Weblogs oder anderen sog. Web2.0-Applikationen aufgreifen und weiterentwickeln. Wir beobachten solche Entwicklungen und pruefen auch, ob und inwiefern diese mit unserem Ansatz gewinnbringend zum Einsatz kommen koennen. Twitter, beispielsweise, haben wir einmal kurzfristig in unsere litblogs.net-Seite implementiert. Die Erweiterung stiess aber auf wenig Interesse und wir haben sie wieder entfernt. Moeglicherweise ist dieser Dienst interessant fuer den schnellen Informationsaustausch. Genuin literarisch, also auf kleine bis kleinste Formen angewendet, ist es vielleicht vorstellbar, dass das Spiel mit Gattungen wie Haiku, Aphoristischem u.Ae. da eine Plattform finden koennte. Die Transparenz und Kontextualisierungsmoeglichkeiten scheinen da aber noch etwas begrenzt zu sein. Einen Einschluss neuer Anwendungsmoeglichkeiten will ich also prinzipiell nicht ausschliessen. Eine Auswirkung auf eigenes Schreiben hat dies aber zunaechst nicht. [Anm. d. Red.: Der Verfasser des Textes ist Betreiber eines eigenen Blogs, Mitbegruender der Plattform LITBLOGS.NET und Initiator zahlreicher anderer Netz- und Literaturprojekte.]

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.